Medien 08.05.2012 (Archiv)
Medien: Angst und Business
Beim European Newspaper Congress in Wien haben Experten über das ambivalente Verhältnis der Medien zur Angst diskutiert. In einer mediatisierten Welt nimmt die Zahl der Krisen, von denen die Menschen hören, zu.Furchteinflößende Katastrophen bringen den Medien erhöhte Einnahmen und befriedigen ein Bedürfnis nach Information. Die Rezipienten gewöhnen sich aber schnell an eine Krise, wenn sie persönlich nicht betroffen sind. Für die Journalisten birgt die Jagd nach immer neuen Katastrophen die Gefahr der Überforderung. Panikmache gibt es, unter Qualitätsmedien ist sie aber verpönt.
'Wenn etwas passiert, sind die Leute vor dem Fernseher. Aber schon nach der ersten Meldung sinkt das Interesse. Dauerhaft halten die Menschen die schlechten Nachrichten nicht aus', sagt Waltraud Langer vom ORF. Als Gegenpol versuchen viele Medien deshalb auch positive Nachrichten zu verbreiten. 'Wir verschweigen nicht die Themen der Woche, aber nur über Katastrophen berichten wir auch nicht. Es braucht einen gesunden Mix, nicht nur am Sonntag', erklärt Felix Müller, Chefredakteur der NZZ am Sonntag. Vor allem überregionale Medien haben allerdings mehr Erfolg mit schlechten Neuigkeiten.
'Die Welt hatte durch die Katastrophe Zuwächse von 15 Prozent. Für regionale Medien funktioniert das nicht so gut. Die Leser, die sonst keine Zeitung lesen, greifen zu großen Publikationen. Die Finanzkrise hatte keine Auswirkung auf die Verkaufszahlen', so Carsten Erdmann von der Berliner Morgenpost. Die Gründe, warum Menschen von Krisenberichterstattung angezogen werden, sind meist egoistisch. 'Es geht um die Auswirkungen auf die eigene Person. Die erste Frage ist: Bin ich betroffen? Globale Konsequenzen sind schon zweitrangig', erklärt Psychologe Cornel Binder Krieglstein.
Die Medien können gar nicht anders, als mit der Angst zu arbeiten. 'Angst ist allen Kommunikationsprozessen inhärent. Kommunikation braucht einen Grund. Das kann entweder eine Bedrohung oder das Schmieden von Allianzen zur Abwehr ebendieser sein. Untersuchungen sagen, dass zwei Drittel der Menschen vor allem Katastrophennachrichten interessant finden. Das liegt daran, dass die Leute ängstlich sind und daher Bewältigungsbedarf haben, den die Medien teilweise erfüllen', erklärt Jürgen Grimm von der Universität Wien.
Die Aufgabe von Qualitätsjournalismus ist laut den Experten die Hintergründe zu erklären und Sachverhalte einzuordnen, um den Menschen bei der Bewältigung ihrer Angst zu helfen. Trotzdem leben die Medien auch von dieser Angst und bedienen sie. Verantwortungslose Panikmache, wie sie der Boulevard bisweilen betreibt, tut das auch, aber ohne den Menschen zu helfen. Die Häufung von Katastrophen hat in den vergangenen Jahren nicht nur das Publikum teilweise überfordert. Auch Journalisten haben teilweise den Überblick verloren. Die Diskutanten plädieren hier für eine Entschleunigung der Berichterstattung.
Nachrichten sollen weiterhin sofort verbreitet werden, für Kommentare und Einordnung sollen sich die Medien aber falls nötig Zeit nehmen, um eine uninformierte, übertriebene Reaktion zu vermeiden. Auch andere öffentliche Akteure müssen sich aber an der Nase nehmen. 'Die Schweinegrippe-Berichterstattung war überzogen, aber das war nicht allein die Schuld der Medien. WHO und Regierungen haben dieses Thema mit Gewalt aufgeblasen, die Medien haben dann berichtet', so Müller.
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