Aktuell 16.01.2010 (Archiv)
Individuell statt im Gleichklang
Die verklärte Vision des harmonischen Gleichfühlens birgt große Gefahren für zwischenmenschliche Beziehungen. Die Individuation fördert hingegen sexuelle Leidenschaft und Partnerschaft.'Am Anfang ist eine romantische Beziehung wichtig und normal, um eine
gute Basis für spätere Ungleichheiten zu schaffen', erklärt die
Psychotherapeutin Sabine Fischer im
pressetext-Interview. In einer reifen Beziehung hingegen müsse man
aufpassen, dass man sich nicht selbst verliert, weil man sich zu stark
an den anderen anpassen muss.
'Wir zeigen uns dann nicht mehr, wie wir wirklich sind, sondern wie uns
andere wünschen. Die Folge davon ist, dass man ein falsches Selbst
entwickelt', so Fischer. 'Da es ein Urwunsch des Menschen ist, nicht
abgelehnt zu werden, tappt man sehr leicht in die Falle, dem anderen zu
gefallen und sich dadurch stark anzupassen', erklärt die
Beziehungstherapeutin. 'Die Beziehung wird langweilig, da kaum Raum für
neue Handlungsweisen und eigene Ideen bleibt.' Zudem würden dadurch
viele Bereiche und Themen aus der Beziehung ausgeschlossen. 'Die Folge
davon sind Erstarrung und dadurch Unzufriedenheit.'
Gefühle des anderen sind nicht die eigenen
'Die Gefühle des anderen dürfen nicht die eigenen werden', so Fischer.
'Negative' Emotionen bilden ein Paradebeispiel. 'Wenn einer schlecht
gelaunt ist, sind beide schlecht gelaunt.' Es gehe jedoch darum, ein
stabiles Selbst zu entwickeln. 'Das Orientieren am Partner ist positiv,
allerdings darf dabei das eigene stabile Selbst nicht aufgegeben
werden.'
Der Ursprung dieses Verhaltens liegt in der Kindheit. 'Im Laufe der
Entwicklung erwirbt das Kind verschiedene Arten der Befriedigungssuche,
die jeweils als Gegenteilpaar - aktiv und passiv - vorhanden sind. Das
ist der Beginn der späteren Sexualität', erklärt Fischer. 'Durch diese
Polaritäten entstehen seelische Konflikte. Die aktive und passive
Ausrichtung der Wünsche ist unvereinbar, da man nicht gleichzeitig
passiv und aktiv sein kann.'
'Der Ursprung der Individuation liegt in der Kindheit', so die
Psychotherapeutin. Es stelle sich die Frage, ob einem Kind keine eigenen
Emotionen erlaubt werden, ob es unzufrieden sein dürfe oder es so fühlen
muss, wie die Eltern. 'Das Erlauben von Emotionen ist nicht
gleichzusetzen damit, dass ein Kind alles bekommt.'
Es gibt Familien, in denen ein Elternteil so dominant ist, dass alle
Familienmitglieder dann so fühlen müssen wie er oder sie, erklärt
Fischer. 'Etwa beim Abendessen, wenn der Vater Ärger in der Arbeit
hatte, schlecht gelaunt ist und keine Scherze am Tisch erlaubt.'
'Es wird vom Partner oft erwartet, dass alle Bedürfnisse befriedigt
werden. Doch in einer befriedigenden Beziehung ist es unerlässlich, an
sich selbst zu arbeiten', betont die Expertin. 'Sich weiterzuentwickeln
heißt, sich selbst Halt zu geben und die Illusion aufzugeben, dass der
andere dabei hilft, alles auszuhalten. Der andere ist da, aber nimmt den
Schmerz nicht ab.'
'Anzeichen für eine Weiterentwicklung in einer Beziehung sind ein
respektvollerer Umgangston, Platz für Themen, die zuvor ausgegrenzt
wurden, Klartext zu reden und mit Vorhaltungen und Maßregelungen
aufzuhören.' Wut eskaliere dann nicht mehr. 'Trennung kann in der Luft
liegen, man wird aber nicht mehr davon verfolgt.'
'Um Individuation zu fördern, hilft es, eine positive Beziehung zum
Partner herzustellen, den ersten Schritt zu machen und keine Ultimaten
zu setzen. Man ist mit dem Partner zusammen, weil man möchte und nicht
weil man nicht anders kann', erklärt Fischer. Dies sind Kennzeichen
einer reifen Beziehung.
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