05.12.2002

Des anderen Neid

Kaum fährt sein Nachbar mit dem neuen Wagen in die Garage, erblasst der Mann aus dem Haus gegenüber vor Neid. Genau so ein Auto will er plötzlich haben. Dass sich der Nachbar einen solchen Flitzer leisten kann, gönnt er ihm jedenfalls gar nicht.

'Neid entsteht dann, wenn das Gut des anderen für einen selbst von Bedeutung ist', erklärt ÖAMTC-Verkehrspsychologin Marion Seidenberger. 'In unserer Gesellschaft gilt das Auto als Prestigeobjekt. Wer meint, im sozialen Vergleich schlechter wegzukommen, findet das beschämend. Um dieses Gefühl zu überwinden, wird man neidisch.'

Im Neid mobilisiert der Mensch Aggressivität, Ehrgeiz und Kampfbereitschaft. Plötzlich werden sämtliche Energien bereitgestellt, um das begehrte Objekt zu bekommen. 'Nicht nur Liebe, auch Neid macht blind', erklärt Seidenberger. Wer neidisch ist, unterliegt einer hochgradig selektiven Wahrnehmung. Äußerst selten findet eine Kosten-Nutzen-Rechnung statt. Obwohl ein Lenker für den täglichen Arbeitsweg kein hochtechnisiertes Auto mit Allradantrieb, Breitreifen und Rammschutz braucht, empfindet er den Besitz eines solchen Fahrzeuges als erstrebenswert.

Genaugenommen steht auch nicht das Auto im Vordergrund, sondern das Ansehen und den Status, den man damit erreichen kann. Ein Wagen überträgt sein Image - sei es nun sportlich, dynamisch oder elegant - an den Fahrer. 'Zumindest denkt er das', so die Verkehrspsychologin, 'ein neues, heißumworbenes Auto wird gekauft, damit man etwas hat, das einen 'wertvoller' macht.' So kann es auch passieren, dass das von der Werbung suggerierte Flair eines Produktes auf das Verhalten abfärbt: Aus einem ruhigen, eher schüchternen Typen wird plötzlich ein rasant-aggressiver Fahrer. Seidenberger: 'Damit kann er eigene Mängel wunderbar maskieren und steigert sein Selbstwertgefühl.' Aber das geborgte Image verpufft leider gleich wieder, wenn man 'ohne' auftritt.

'Wichtig ist, zwar den eigenen Neid nicht zu verleugnen, sich aber auch einzugestehen, dass man nicht alles haben und erreichen kann', empfiehlt die Verkehrspsychologin des Clubs. Kurzgesagt: Man muss lernen, auch mal mit einem 'Mangel' zu leben. Keiner ist deshalb schlechter oder weniger wert, weil andere mehr besitzen oder auf manchen Gebieten besser sind.

Quelle: ÖAMTC | www


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