Aktuelles  12.07.2023

Carsharing in Wien ausbaufähig

Es klingt nach einer Lösung für den städtischen Verkehr, doch die angebotenen Lösungen sind eher kontraproduktiv: Carsharing ist in Wien so nicht zu Erfolg verdammt.

Warum kommen wir nach einer Analyse des Marktes zu dieser Erkenntnis? Nun, das hat mehrere Gründe. Doch zunächst sollten die Kriterien definiert werden, die einen sinnvollen Einsatz von Carsharing ausmachen. Da wären etwa:

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Im Endeffekt landet man in Wien bei zwei Anbietern von Relevanz mit gänzlich unterschiedlichem Angebot. Sharenow/Free2move hat ein 'free floating'-Angebot (übernehmen und rückgeben, wo man mag), die Wiener Linien (bzw. share too) mit dem Wienmobil Auto kontern mit festen Stationen für ihre Autos. Insbesondere für Besitzer von Öffi-Jahres-Tickets sind letztere deutlich günstiger.

Klopfen wir die Kriterien ab, ist schon ersteres 'sportlich'. Wer rund 10000km im Jahr fährt, ist beim eigenen Auto sicher billiger, bei der Hälfte dürfte es dann auch mit den geteilten Mietautos spannender werden. Rechnet man nämlich alles mit, was erforderlich ist (das fängt bei notwendigen Parktickets an), sind Carsharing-Autos ganz schön kostspielig - der Effekt des Teilens und der effizienteren Nutzung ist nicht wirklich im Preis erkennbar. Die eigene Zeit darf man ohnehin nicht rechnen, denn mit dem Aufwand für holen/abstellen/laden, ... wird das Carsharing zusätzlich weniger attraktiv. Aber schon die einzelne Nutzung kann man hier schnell monetär berechnen: Die Angebote sind durch Monats-, Minuten-, und Kilometerkosten recht schnell zu kalkulieren und zu vergleichen. Unser Fazit nach vielen hundert 'Echttests' ist: Das Carsharing kommt manchmal billiger, häufiger teurer, im Schnitt jedenfalls kein echter Vorteil in den Kosten.

Was den Komfort betrifft gibt es ein dickes Minus. Die getesteten Autos sind so, wie es genutzte Dinge erwarten lassen, die den Nutzern nicht gehören - also egal erscheinen. Schmutz und Schäden nicht selten, Ladestand im Akku wo möglich natürlich nahe am Leerstand und natürlich Nachteile in Verfügbarkeit und Reichweite. Free-Float hat hier Vorteile (näheres Auto, bestellbare 'Lieferung' voll geladener/getankter Autos, Fahrten in einer Richtung möglich).

Gerade dort aber wiederum ist das Umwelt-Thema und der Nutzen für die Stadt nicht gegeben: Geboten werden kleinere Autos mit geringem Kofferraumnutzen - gerade als Ergänzung zu den Öffis für Einkäufe, Umzüge oder größere Transporte (Business-Einsatz) sind diese nicht zu verwenden, dafür aber optimal für jene, die die Öffis nicht nutzen wollen. Das macht mehr Verkehr, statt eine Option zu bieten, auf das Auto zu verzichten und jene Bereiche zu ergänzen, die man durch die Öffis nicht kompensieren kann. Dass im free-flow auch noch Verbrenner die Mehrheit sind, macht die Sache auch nicht besser, was das Umweltargument betrifft.

Also jetzt mehr den Blick auf das Angebot der Wiener Linien, denn genau hier sollte ja diese Koexistenz von Öffis für die Mehrheit der Bedürfnisse und die Ergänzung von Carsharing für den Rest perfekt gelöst sein, oder? Es sind Elektroautos vorhanden, sogar welche für den hauptsächlichen Zweck der Transporte, die man nicht öffentlich erledigen kann (ID Buzz Cargo). Doch auch hier ist der Test ernüchternd:

Man muss das Auto dort zurückgeben, wo man es abgeholt hat (Zweiweg-Nutzung). Das ist erstmals nur eine Frage der Wirtschaftlichkeit, denn man muss ein Auto dann eben für die gesamte Nutzung bis zur Rückkehr zahlen. Allerdings hat man vergessen, dass man das Auto in der Zwischenzeit nicht in Wien parken kann, denn ein Parkpickerl fehlt. Das ist bei Umzügen oder Einkäufen lästig (Parkzettel legen oder im Handyparken die Nummerntafel immer wieder registrieren), spätestens aber dann unmöglich, wenn man länger als die erlaubte Parkdauer pausieren muss. Ein Business-Termin mit dem Cargo, weil man etwas mitnehmen muss, das nicht in die U-Bahn passt, wird so schnell unmöglich gemacht. Bleibt dort also als einzige Nutzungsvariante der Familienausflug am Wochenende aus der Stadt raus, wo die Wiener Linien nichts anbieten können...?

Und noch etwas ist bei den WienMobil-Autos mehr als ärgerlich: Nachdem an den Rückgabestellen kaum Ladestationen sind und kein Anreiz da ist, ein Auto geladen zurückzubringen, sind die Autos praktisch 'immer' leer bei der Übernahme. Man muss also einplanen, dass ein reserviertes Auto früher übernommen, zur Ladestation gefahren und erst dann einsatzbereit ist. Je nach Wagen heißt das Mehrkosten von ein bis zwei Stunden und eine Menge Komfortverlust durch diese Mehrarbeit. Mit Reichweiten der gebotenen Elektroautos sind weitere Strecken auch nicht ohne Ladestop zu erledigen, was wiederum Kosten verursacht (Minutenkosten, der Strom wird ohnehin 'gratis' per Ladekarte übergeben). Warum die Stadt nicht ihre Wienstrom-Ladepunkte mit den Abholstationen von Wienmobil zusammenlegt und einen Anreiz für das Laden gibt, ist eine der Fragen, die ratlos zurücklässt.

Unser Fazit: Carsharing hätte Potential im Zusammenspiel mit Öffis, um ein eigenes Auto ersetzen zu können. Beim genaueren Hinsehen summieren sich aber die Nachteile (Kosten, Zustand der Autos, enges Angebot, die falschen Autotypen, fehlender Systemansatz für den Umweltgedanken, ...) bis hin zu echten Ausschlusskriterien (Parkverbote, Ladezustand, Autogröße). Hier muss deutlich nachgebessert werden, um das Angebot attraktiv zu machen - oder es überhaupt erst zu machen, denn zu viele sind hierbei aussen vor. Und wird das Carsharing einmal wirklich attraktiver, muss dann auch noch das Angebot deutlich vergrößert werden - zumindest bei jenen mit festen Stationen: Ein Vielfaches (!) an Stationen und Autos, um Wege zu verkürzen und das passende Auto im Umfeld zu haben, wäre erforderlich für einen echten Nutzen. Erst dann kann eine Empfehlung erfolgen.


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#Carsharing #Test #Wien

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